MOZ, 12.Juni 1993
Lebenshilfe-Verband e.V. übernahm Kinderpflegeheim in Berliner Straße
Eisenhüttenstadt. "Lebenshilfe Wohnheim "Vergißmeinnicht"" steht seit Sonnabend neben der Tür des Kinderpflegeheimes in der Berliner Straße. Amtsleiterin Monika Teudt übergab im Auftrag von Oberbürgermeister Rainer Werner das Heim ofiziell an den "Lebenshilfe-Verband e.V.“ und dankte u.a. Heimleiterin Heidemarie Gauger für ihr nie erlahmendes Bemühen um einen freien Träger.
Welchem Anspruch will sich der neue Träger fortan stellen? Asta Junghardt, Vorsitzende des Eisenhüttenstädter Ortsverbandes der "Lebenshilfe e.V.“: „Wir wollen nichts anderes, als den Kindern hier ein Leben so normal wie möglich zu bieten. Sie sollen bald alle in Wohngruppen mit höchstens acht Kindern leben, in Wohneinheiten mit Zwei-Bett-Schlafzimmern, Tagesräumen, Küche und Bad, tagsüber in der Pestalozzi-Schule oder in der Kindertagesstätte 6b sein und am späten Nachmittag ins Wohnheim zurückkehren zu Pflegern und Betreuern. Das Heim soll ihr Zuhause sein, ihre Familie."
Ein bißchen so wie in Familie war es ja im Kinderheim am Wasserturm schon immer. Liebevoll pflegten und betreuten die Mitarbeiterinnen um Heidemarie Gauger ihre Schützlinge, gaben ihnen die Geborgenheit eines Zuhauses, taten ihr Bestes, um den Kindern Stück für Stück ein bißchen Lebenstüchtigkeit zu vermitteln. Dadurch, daß zu DDR-Zeiten die meisten der Kinder als „nicht förderrungsfähig" eingestuft waren; hielten sich Notwendigkeit und Möglichkeiten der Förderung in Grenzen. „Wir bekamen zwar schon damals Spenden und praktische Hilfe aus vielen Betrieben, ohne die wir längst nicht so viel für unsere Kinder hätten tun können“, schätzt Heidemarie Gauger ein, „aber es gab keine gesetzliche Verankerung der Rechte Behinderter. Nach derrWende bemühten wir uns intensiv um einen freien Träger. "Der Verband der Lebenshilfe hat uns schon vor der Übernahme viel unterstützt.“
So konnten voriges Jahr aus Fördermitteln in allen drei Gebäuden des Kinderheimes Ölheizungen eingebaut werden, behindertengerechte Bäder mit Sitzbadewannen und -duschen, mit Liften und anderem Zubehör gibt es nun, die Renovierung der Zimmer konnte vorgenommen werden.
"Es hat sich eine ganze Menge verändert", schätzen Ursel Klette, die seit zwölf Jahren im Heim arbeitet, und Sigrid Hoffmann übereinstimmend ein. „Die Arbeit mit den Kindern ist um vieles leichter geworden, vor allem in körperlicher Hinsicht. Es macht dadurch mehr und mehr Spaß.“ Das findet auch Zivildienstleistender Maik Pietzsch (22). gelernter Getreidefacharbeiter, der wie ein großer Bruder liebevoll Andreas füttert und sich nach seinem Zivildienst im Heim als Pfleger bewerben will.
Strömender Regen dämpfie die fröhliche Stimmung nur wenig, denn alle, die die Kinder schon kannten und die sie lieb haben. waren frohen Mutes dabei: Eltern und Angehörige kamen, die Erzieher spielten mit ihnen. hatten tollen Kuchen gebacken, die EKG-Feuerwehr lud zu Rundfahrten ein, ein Pony-Kremser war da, eine Modenschau fand statt, in die auch Kinder aus dem Heim einbezogen wurden.
„Wir sind sehr froh, dal3 unsere Stefi in diesem Kinderheim schon seit 198l ein so schönes Zuhause hat“, schätzen Doris und Horst Mielenz aus Frankfurt/Oder übereinstimmend ein. „Zumindest einer von uns hätte damals seine Arbeit aufgeben müssen, als Steffi geboren wurde. Und trotzdem hätten wir ihr zu Hause nicht die Betreuung und Förderung angedeihen lassen können, die sie hier im Heim hatte und hat. Dafür sind wir dem Heimkollektiv sehr dankbar und an jedem Wochenende hoIen wir unsere Tochter ab." Steffi drängelt, sie will heim mit den Eltern. Und doch kommt sie nach dem Wochenende gern in ihr zweites Zuhause, das Wohnheim mit dem symbolträchtigen Namen „Vergißmeinnicht“, zurück.
EVELYN REICH