MOZ, 08.März 2001
Sabine Baczinski liebt ihre Arbeit wegen der kleinen Erfolge, die sie behinderten Menschen ermöglicht
Von Uwe Stiehler
Eisenhüttenstadt (MOZ) Sabine Baczinski hält die kleine schwache Hand von Christian. Er schafft es nicht allein, den gebogenen Kinderlöffel mit dem Broccoli-Nudel-Auflauf zum Mund zu führen. Sabine Baczinski beugt sich über den Rollstuhl des Mannes, der nicht größer ist als ein Grundschüler. Die zwei sind ein eingespieltes Team. Und während Christian weiter gefüttert wird, singt Stevie Wonder im Radio davon, in welcher perfekten Harmonie Ebony und Ivory zusammenleben.
Sabine Baczinski ist Wohnbereichsleiterin im Wohnheim der Lebenshilfe. Seit 1987 arbeitet sie hier im Haus. Angefangen hatte sie als Krippenerzieherin. „Als ich ins Haus kam, lebten 60 Kinder und Jugendliche hier. Das war auf den ersten Blick erschreckend“, sagt sie. Die 33-Jährige wendet sich wieder ihrem Heimbewohner zu: „Ich will nur noch Christian zu Ende füttern.“
Auf dem Sofa hinter Sabine Baczinski liegt Melanie. Die blinde junge Frau hört dem Lied des blinden Sängers zu. Sie selbst wird niemals singen und sprechen auch nicht. „Wir lesen es an ihren Reaktionen ab, dass sie vieles versteht.“ Sagt Heilpädagogin Baczinski. Melanie wird im Mai 18. Sie lacht auf ihrem dicken Kissen. Sabine Baczinski lacht zurück: „Ja Melanie, du merkst, dass wir von dir sprechen.“
Das Mittagessen ist vorbei. Sabine Baczinski hat jetzt Zeit, über sich und ihre Arbeit zu sprechen. So richtig wohl ist ihr dabei nicht, denn bei dem, was sie tut, zählen nicht die Einzelkämpfer, Teamgeist ist alles. „Es ist unwahrscheinlich wichtig, die Unterstützung des Teams zu haben“, sagt die 33-Jährige. Sie macht ein zufriedenes Gesicht und setzt nach: „Mein Team ist super.“ Drei oder vier Jahre leitet sie jetzt schon ihren Wohnbereich. So genau wisse sie das nicht mehr, sagt sie. Vorher, das war 1995, machte sie ihren Abschluss als Heilpädagogin. Und jetzt kümmert sie sich um organisatorischen und pädagogischen Belange ihres Wohnbereichs, in dem eine Gruppe von acht geistig und körperlich behinderten jungen Menschen versorgt werden.
„Die heilpädagogische Betreuung ist für unsere Bewohner ganz wichtig“, sagt die gebürtige Eisenhüttenstädterin. Dadurch sei ein sehr stabiles Umfeld geschaffen worden. Selbst die Bewohner mit schweren Behinderungen würden deshalb nicht ständig an der Grenze zwischen Leben und Tod stehen.
Der Tod. Wie gegenwärtig ist er im Wohnheim? „Die Sterbefälle sind bei uns erstaunlich gering. Das liegt eben auch an der guten pädagogischen Betreuung“, erklärt Sabine Baczinski. Sie zieht die Augenbrauen zusammen und sagt: „Bei einem Todesfall merkt man am stärksten, wie intensiv die Beziehungen gewachsen sind.“ Ein ganz enges Verhältnis zu den Bewohnern sei eben nötig, um zu bemerken, was diese mitzuteilen haben. „Vieles bekommen wir deshalb schon mit, aber nie alles“, sagt sie.
Belastet sie diese Arbeit? Zeitweise, gesteht die engagierte Frau. Immer, wenn sie an Grenzen stoße, wo es nicht weitergeht, wo es keinen Weg zu geben scheint, trotz der Behinderung einen Fortschritt zu erzielen.
Doch bei Christian, erzählt Baczinski stolz, haben ihre Kolleginnen uns sie es geschafft. Seit er in einem Rollstuhl sitzt wird er aktiver. Das er jetzt allein versucht zu essen, sei ein unglaublicher Erfolg. Und diese Erfolge sind es, die Sabine Baczinski an ihrer Arbeit so liebt. Ein Lächeln der Bewohner oder zu sehen, wie sie sich trotz ihrer Behinderung noch persönlich entwickeln können, dass entschädige sie für die Belastungen.
Belastungen, die im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knochen gehen. Sabine Baczinski zuckt leicht mit den Schultern: „Rückenprobleme haben hier alle. Das kommt vom schweren Heben und ist wohl eine Berufskrankheit.“ Dann lächelt sie wieder. Soviel gute Laune bei diesem Job? „Ich bin eigentlich immer gut gelaunt“, sagt sie. „Die Arbeit ist stressig, aber macht Spaß.“
Bleibt da noch Platz für die Familie“ „Ich habe keine“, antwortet Sabine Baczinski. Aber ihre Kolleginnen würden Arbeit und Familie prima unter einen Hut bringen
Dann ist es 13:15 Uhr. Sechs ihrer Schützlinge kommen aus der Förderschule für geistig Behinderte zurück. Sabine Baczinski treibt es an ihre Arbeit zurück. „Ich muss jetzt mithelfen“, sagt sie und verschwindet im Getümmel zwischen Kleinbus und Rollstühlen.