Die Bewohner der Lebenshilfe-City-WG im Pionierweg begeisterten die Gäste zum Tag der offenen Tür am Sonnabend mit einem kleinen Programm. Foto: Jürgen Pahn

MOZ, 17.März 2003

Tag der offenen Tür im Eisenhüttenstädter Lebenshilfe-Heim am Wasserturm

Von JÜRGEN PAHN

Eisenhüttenstadt. Der Verein Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung“ Ortsvereinigung Eisenhüttenstadt e.V. lud am Sonnabend Behinderte und deren Angehörige sowie interessierte Bürger zum Tag der offenen Tür ein. Auf den Tag genau vor zehn Jahren hatte der Verein das ehemalige Kinderpflegeheim am Wasserturm in Eisenhüttenstadt Ortsteil Fürstenberg in seine Trägerschaft übernommen.
Es gab am Sonnabend allen Grund zum Feiern und Staunen, wobei das staunen hauptsächlich auf seiten jener Gäste lag. die ansonsten kaum die Gelegenheit haben, hinter die Kulissen eines solchen Hauses zu schauen. Heimleiterin Heidemarie Gauger, die viele Glückwünsche von Angehörigen der Behinderten und Gäste entgegen nehmen konnte, berichtete über das Leben in der Einrichtung.
Gegenwärtig leben im Heim und in der City-WG 52 Behinderte im Alter von achtzehn bis fünfzig Jahren, die rund um die Uhr von 65 Mitarbeitern, zumeist Teilzeitkräften, betreut werden. Aus dem Kinderpflegeheim mit seinen überbelegten Stationen ist durch die Umsetzung der Philosophie der Lebenshilfe das Wohnheim „Vergißmeinnicht“ hervor gegangen, das den Behinderten nun eine angemessene, aber noch nicht allseitig zufriedenstellende Lebensqualität bietet.
In vier Gruppen werden die Heimbewohner beschäftigt. Dazu gehören neben der Wahrnehmungsförderung und Hauswirtschaft die bildnerische- und Bewegungserziehung, sowie die Arbeit in der hauseigenen Werkstatt im Pionierweg. Zwei Bewohnerinnen arbeiten von Montag bis Freitag in der ebenfalls hauseigenen Wäscherei.
So funktioniert das Leben im Heim nach seinen eigenen Regeln isst problemlos, wünscht sich die Heimleiterin, doch mehr Akzeptanz in der Öffentlichkeit, besonders durch die Bereitstellung von Aufenthaltsräumen oder Tagesstätten für die Behinderten, damit sie nicht Tag und Nacht in den gleichen Räumen bleiben müssen.
Auch das allerorts fehlende Geld und die Rotstiftpolitik im Landeshaushalt gehen nicht spurlos an dem Haus vorüber, so dass die Unterstützung durch regionale Unternehmen, Privatpersonen oder Vereine gern gesehen ist. Dank einer Spende zurn Beispiel von der Feuerwehr konnten ein paar Tiere angeschafft werden. Auch die Firma Sandke, die demnächst ihr fünfzehnjähriges Bestehen feiert, hat eine finanzielle Unterstützung zugesagt, denn statt irgendwelcher Geschenke, erbittet der Firmeninhaber Geldspenden, die er an das Heim weiterleiten will. „Von diesem Geld“. so Heidemarie Gauger, „wollen wir uns einen Brennofen für die Keramikwerkstatt anschaffen."
Heidemarie Gauger hat noch andere Visionen. So wünscht sie sich, die Gründung einer eigenen Theatergruppe mit Bewohnern der City—WG‚ mit der die Behinderten auch offentlich auftreten könnten. Viele besuchten zuvor die Pestalozzischule und sangen dort zum Beispiel im Chor mit. So eine Möglichkeit könnte auch hier geschaffen werden, eventuell mit Hilfe einer arbeitslosen oder pensionierten Musiklehrerin.
Glückwünsche überbrachten am Sonnabend auch Asta Junghardt, Vorstandsvorsitzende des Vereins, und Wolfgang Pohl, Schirmherr und Vorstandsvorsitnnder der Lebenshilfe Landesverband Brandenburg e.V. „lhre Lebenshilfe", so Pohl, "ist ein wichtiges Bindeglied der Lebenshilfe-Gemeinschaft im Land Brandenburg, nicht nur weil es die Lebenshilfe in Eisenhüttenstadt gibt, sondern auch, weil es das Haus Vergißmeinnicht, getragen vom Lebenshilfe-Gedanken gibt. Nach der politischen Wende zeigten uns die alten Bundesländes erstaunliche Möglichkeiten auf, Schwerstbehinderten zu helfen und mit vielen eigenen Initiativen konnten wir Dinge aufbauen, die bis 1989 unbekannt waren“, so Pohl. Gegenwärtig verfüge die Lebenshilfe im Land Brandenburg über rund 1.350 Mitarbeiter und unzählige ehrenamtliche Helfer.
Pohl verwies darauf, dass sich der Lebenshilfe-Gedanke festgesetzt habe und man selbstbewusst in die Zukunft blicken könne. Das sei sogar nötiger geworden, denn zur Behindertenarbeit gehöre nicht nur der gut funktionierende Rollstuhl, sondern auch das zu bezahlende Personal.
"Betrachten wir in diesem Zusammenhang, dass das Land Brandenburg täglich zwei Millionen Euro Zinsen zahlt, so dürfen wir nicht zulassen, dass die Schwächsten der Gesellschaft als erste dem Rotstift zum Opfer fallen“, forderte Pohl.