MOZ, 21./22.09.2019
Kommentar Janet Neiser zur Wohnstätte "Vergißmeinnicht"
"Vergißmeinnicht" - das ist der Name und das Motto des Wohnheims für geistig und schwerstmehrfachbehinderte Menschen in Eisenhüttenstadt. Was dort von den Mitarbeitern geleistet wird, ist aller Ehren wert und kann nicht hoch genug geschätzt werden. Ihre Arbeit ist Schwerstarbeit - physisch und psychisch. Dass es kein leichter Job ist, zeigt sich auch daran, dass dieses Heim, landesweit, wenn nicht sogar bundesweit einzigartig ist. Eine solche Konzentration von schwerstbehinderten Menschen gibt es sonst nirgendwo. In Eisenhüttenstadt ist dies aus der Geschichte begründet. Zu DDR-Zeiten wurde die Wohnstätte am Wasserturm für behinderte Kinder gegründet. Noch immer leben einige der "Ureinwohner" in dem dortigen Haus. Sie sind erwachsen geworden, leben ihr Leben - mit helfenden Händen. Derzeit wohnen einige von ihnen zu zweit in einem Zimmer, das soll sich ändern. Einzelzimmer sind nun vorgeschrieben. Doch glaubt man Experten vor Ort, braucht manch Bewohner diese Zweisamkeit. Es handet sich also mal wieder um ein Gesetz, das möglicherweise gut gemeint, aber fernab von der Basis entstanden ist.
Jubiläum VOR 26 JAHREN HAT DIE LEBENSHILFE DIE WOHNSTÄTTE "VERGISSMEINNICHT" ÜBERNOMMEN. ERREICHT WURDE VIELES, ABER ES GIBT NEUE HERAUSFORDERUNGEN. Von Janet Neiser
Es gibt Stände, an denen Produkte der Oder-Neiße-Werkstätten angeboten werden, es gibt eine Bühne, von der Musik kommt, es duftet nach Gegrilltem und so mancher lässt sich am Nachmittag erst einmal ein Stück Kuchen schmecken. Sogar Ponys sind vor Ort und warten auf Streicheleinheiten und mutige Reiter. Es ist eine Geburtstagsfeier, wie sie sein sollte.
Heidemarie Gauger, die langjährige Leiterin der Wohnstätte, nimmt immer wieder Glückwünsche entgegen, mal in Form von Blumen, mal in Briefumschlägen, mal schüttelt sie einfach nur Hände. Auf der Bühne erinnert sie an die Anfänge 1981: Damals wurde das Haus als Kinderpflegeeinrichtung gegründet. "1982 waren wir voll belegt", sagt sie. 60 junge Bewohner gab es damals, schwerst behinderte Kinder, die von überall her in diese einzigartige Wohnstätte im damaligen Bezirk Frankfurt kamen. Minderjährige leben nicht mehr in dem Haus, die Gesetze haben sich geändert. Manche der Bewohner von damals aber sitzen jetzt als Erwachsene vor der Bühne. Sie klatschen, nicken, verständigen sich auf ihre Art. Für sie ist "Vergißmeinnicht" ihr Zuhause geworden. Dort schlafen sie, dort essen sie, dort werden sie betreut. Tagsüber aber sei fast niemand im Haus, erklärt Heidemarie Gauger. Etwa ein Dutzend der aktuell 50.Bewohner im Alter von Mitte 20 bis knapp 70 Jahren würden in den Oder-Neiße-Werkstätten der Lebenshilfe arbeiten, die anderen sind in einer speziellen Tagesbetreuung.
"Gemeinsam haben wir viel geschafft", betont Doris Keil, die Vorstandsvorsitzende und verweist unter anderem auf die City-WG in der Innenstadt, wo 20.Männer und Frauen ein relativ selbstbestimmtes Leben leben. Ziel der Lebenshilfe war und sei es weiterhin, für die Menschen, die Hilfe am meisten benötigen, etwas zu tun. Das wird auch in der Rede von Wilma Teichmann klar.
Einzel- statt Zweibettzimmer
Die Vorsitzende des Landesverbands der Lebenshilfe erzählt davon, dass sie selbst ein behindertes Kind habe. Das sei zwar mittlerweile 42 Jahre alt, aber letztlich gehe es in der Arbeit der Lebenshilfe immer darum, um die "Rechte unserer Kinder und Angehörigen zu kämpfen".
Und dieser Kampf geht weiter: In der Wohnstätte "Vergißmeinnicht" sucht man bereits nach Lösungen. Denn aufgrund einer bundesweiten Vorschrift, dürfen Bewohner künftig nur noch in Einzelzimmern leben. "Wir müssen alle Zweitbettzimmer abschaffen", betont Karen Bergel, die im nächsten Jahr die Leitung der Wohnstätte übernehmen wird, in der knapp 70 Personen beschäftigt sind. Umbau, Umzug, Anbau – all das wird diskutiert.